Im (Wett)Kampf für Heimat und Nation? “Identitäre” Verstrickungen in der österreichischen Kampfsport-Szene. Teil 1: Annika Stahn

Am Samstag dem 26.9. soll in der Guggenberger Sporthalle in Korneuburg die „19. Nights of Glory“ ausgetragen werden. Beworben wird das Kampfsport-Event, das ursprünglich bereits Mitte April dieses Jahres hätte stattfinden sollen, mit dem “WKF1 Damen Europa Pro-AM”-Titelkampf zwischen der deutschen Stefanie Reuter und der in Wien lebenden Annika  Stahn – Kampfname: „Piroschka“. Letztere gilt, insbesondere mit Blick auf die Jahre 2017/2018 unter ihren Pseudonymen „Berit Franziska“, „Annika Franziska“ bzw. “Elisabeth Franziska” als eine der prominentesten Aktivistinnen der neofaschistischen „Identitären Bewegung“ (IB) im deutschsprachigen Raum. Seit 2019 kämpft sie im österreichischen Kickbox-Nationalteam der WKF und soll Österreich bei der nächsten WM vertreten.2


Knallharte Aktivistin“ gegen „Genderwahn“ – Stahn als Gesicht des Antifeminismus der IB

Fackelzug der neofaschistischen “Identitären” am Wiener Kahlenberg, September 2017. Quelle:fida

Stahns politische Karriere lässt sich zumindest ins Jahr 2016 zurückverfolgen. In ihrer damaligen Heimat Tübingen versuchte sie in der gemischtgeschlechtlichen Student*innenverbindung „AV Hibernia Tubingensis“ Fuß zu fassen.  Nach Angaben der “Hibernia Tubingensis” konnte ihre demokratiefeindliche Entwicklung von der Verbindung nicht weiter mitgetragen werden, sodass ihre Probezeit vorzeitig beendet wurde. Kein Problem sondern vielmehr Voraussetzung war eine solche Geisteshaltung für die neofaschistische „Identitären Bewegung Schwaben“, in der Stahn ihre politische Heimat fand und 2016 aktiv wurde.3 2017 wurde sie zudem im Zusammenhang des AfD-Wahlkampfes gesichtet4 und knüpfte Kontakte zur IB-Österreich, an deren geschichtsrevisionistischem Fackelzug am Wiener Kahlenberg sie teilnahm. Im Folgejahr betreute sie Infotische der neofaschistischen Gruppe  (z.B. am 18.4.2018 in Wien sowie am 24.11.2018 in Graz) oder beteiligte sich an Kundgebungen wie jener gegen den UN-Migrationspakt am  4.11.2018 in Wien.

 


Sellner im Interview mit Stahn über “Genderwahn”. Wien, September 2017. Quelle: fida

Größere Bekanntheit erlangte die Aktivistin jedoch als Repräsentantin des Antifeminismus der IB. Da dieser ideologiekritisch an verschiedenen Stellen bereits pointiert analysiert wurde5 möchten wir uns hier auf die Rolle und Aktivitäten von Stahn konzentrieren:
2017 initiierte6 Stahn den explizit antifeministischen Blog „radikal feminin“, der sich mit Hashtags wie „#supportyourlocalpatriarchy” offen für das Patriarchat aussprach und den Feminismus als die Wurzel des Übels zu begreifen glaubte. Wenngleich „radikal feminin“ sich oberflächlich als unabhängiges Projekt darstellte, zeigte sich eine enge Verwobenheit mit der IB: Der Blog wurde von Jonathan Rudolf (ehem. Ortsgruppenleiter der IB Tübingen) in sozialen Medien als „neue[s] identitäre[s] Projekt“7 angepriesen und auf der Website der IB-Deutschland offen beworben.8 Auch Martin Sellner versuchte dem Projekt Starthilfe zu geben und führte ein Interiview mit Stahn über „Genderwahn“ und Antifeminismus.9 Publizistische Unterstützung erfuhr das Projekt zudem von einschlägig rechtsextremen Magazine wie das Linzer InfoDirekt10 das in der Ausgabe 18-2017 das Projekt portraitierte. Das deutsche „Arcardi Magazin“, das polemisch als „Nazi-Bravo für Identitäre“11 bezeichnet werden kann, machte in der zweiten Ausgabe „Radikal Feminin“ sogar zur Coverstory und Stahn zum Covermodel.

Arcardi-Magazin 2017, Ausgabe 1 (links): Brittany Sellner (ehem. Pettibone), Ausgabe 2 (rechts): Annika Spahn. Quelle: AIB


Wie viele Projekte aus dem Umfeld der IB war auch „radikal feminin“ von kurzer Lebensdauer. Bereits seit Februar 2018, also rund einem halben Jahr nach der Gründung, ruht das Projekt und wurde inoffiziell von der im Januar 2018 gestarteten identitären Kampagne „120db“ abgelöst. Letzteres gilt als offensichtlich von der #metoo-Debatte inspirierter und weitestgehend erfolglos gebliebener Versuch rechtsextreme Frauenpolitik zu betreiben und den Diskurs um sexualisierte Gewalt mit rassistischen und antifeministischen Narrativen zu besetzen. So sei sexualisierte Gewalt nicht als Problem patriarchaler Gesellschaftsstrukturen zu verhandeln, sondern wurde ethnisiert und (rassismuskritischen) Feminist*innen eine Mitschuld an der angeblich „importierten Gewalt“ gegeben. Bereits das erste 120db-Video, das auf dem damaligen Youtube-Kanal von Martin Sellner (der übrigens auch die Kampagnenwebsite registrierte) erschien, eröffnet ein bekanntes Gesicht: Annika Stahn12, die seit Frühjahr 2018 in Wien lebt. Wenig überraschend war es auch Stahn, die gemeinsam mit einer Mitstreiterin am 21.9.2018 die 120db-Kampagne im inzwischen aufgelassenen Grazer „Hackherzentrum“ vorstellte.

Annika Stahn (links vorne) als Referentin von “120db” im ehem. “Hackherzentrum” Graz, 21.9.2018. Quelle: IBÖ


Vom Wehrsport in die Nationalmannschaft

Stahn alias “Elisabeth Franziska” teilt auf vk Aufruf zum Boxtraining der IB Wien. Vermutlich ist sie auch am Foto abgebildet. Quelle: VK

In einem Interview mit Radio Korneuburg beschreibt Stahn, dass ihr Zugang zum Kampfsport der Motivation geschuldet war, einen besseren Umgang mit „Stresssituationen und vor allem [mit] Konfrontationen“13 zu erlernen. Dies scheint ihr auch gelungen zu sein – zumindest aus Sicht der IB-Steiermark: Diese beschreiben Stahn und ihre Kameradinnen als „knallharte Aktivistinnen“ die eine „Konfrontation mit dem politischen Gegner weder scheuen noch fürchten“. 14 Als Schule hierfür dürfte hierfür das wöchentliche Boxtraining der „Wiener [IB-]Mädels“ gedient haben, welches von Stahn über soziale Medien beworben wurde.

Inzwischen trainiert Stahn im Wiener „Octagon pro Gym“ und erkämpfte im Jahr 2019 ihren ersten Staatsmeisterschaftstitel15 sowie den Titel als Vizeeuropameisterin worauf sie nun um den Europatitel in den Ring steigt. Darüber hinaus betätigt sich die neofaschistische Aktivistin als Referee und wurde bereits für internationale WKF-Kämpfen wie der „Ukraine Open“ Mitte Oktober dieses Jahres angekündigt. Auf das Highlight ihrer bisherigen Karriere muss Stahn jedoch noch warten: Ihr Kampf für das österreichische WKF-Nationalteam bei der Kickbox-WM in Kairo, wurde vom  Oktober dieses Jahres auf Oktober 2021 verschoben.16

Das österreichische WKF-Nationalteam bei der EM in Baia Mare (Rumänien) 2019: Quelle: WKF, eigene Hervorhebung

Zumindest bietet diese Verschiebung dem Kampfsportverband die Möglichkeit ihren Umgang mit rechtsextremen Kämpfer*innen zu reflektieren. Wir zweifeln da nämlich sehr daran, dass eine dringend notwendige kritische Auseinandersetzung mit dem neofaschistischen Engagement Stahns stattgefunden hat. Woran wir allerdings nicht zweifeln ist der Umstand, dass Neofaschist*innen versuchen ihre ideologisch unterfütterte Wehrhaftigkeit zu professionalisieren und dabei Kampfsport für ihre innere Aufrüstung nutzen. Und diese dient nicht nur dem Kampf um einen Titel im Ring, sondern ebenso dem herbeiphantasierten Endkampf um Heimat, Nation und Abendland.


Quellen:

1 WKF – World Kickboxing Federation

4 Vgl. Tübingen rechtsaußen (2017): Identitären-Aktivistin besuchte AfD-Stand in Tübungen

5 Vertiefend siehe Teidelbaum, Lucius (2020): Der Antifeminismus der „Jungen Alternative“ und „Identitären“. In: Der Rechte Rand 183 /2.2020;
FIDA (2017): Recherchereihe zu Geschlechterbildern & Antifeminismus von Rechts: Politischer Fundamentalismus in Österreich am Beispiel der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ und der „Identitären Bewegung“ und Goetz, Judth (2017): „Aber wir haben die wahre Natur der Geschlechter erkannt…“ Geschlechterpolitiken, Antifeminismus und Homofeindlichkeit im Denken der ‚Identitären‘. In: ebd. et al.: Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ‚Identitären‘ Hamburg: Marta.

6 Laut Selbstbeschreibung wurde der blog gemeinsam mit „Marja“ betrieben.

7 Twitter-Posting von Jonathan Rudolph (@einwaldgaenger) vom 4.9.2017. Screenshot über Tübingen Rechtsaußen abrufbar.

8 vgl. „IBD Redaktion“ vom 18.2.2018: „Radikal Feminin“: Frauen und der Kinderwunsch. Erschienen auf identitaere-bewegung.de. Screenshot hier abrufbar.

10 Nr. 18-2017, S. 34-35

11 „Autonome Antifa Freiburg“ zit in Köln gegen Rechts — Antifaschistisches Aktionsbündnis (2018): Das Arcadi-Magazin: Identitär. Rechts. Antifeministisch. In: AIB 119 / 2.2018

12 Vgl. Massoth, Steve 2019, S.21-22

13 Radio Korneuburg (12.3.2020): Interview mit Annika Stahn und Alexandra Petre

14 Vgl. IB Steiermark via VK am 22.9.2018 um 14:04 Uhr

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