Immer offener demonstrieren die sog. „Identitären” mit ihren Aktionen und Angriffen, dass sie bereit sind, den neofaschistischen Kampf um die Macht im öffentlichen Raum auszutragen. Der Übergriff auf das linksalternative Sub und der bewaffnete Überfall auf eine Gruppe von antifaschistischen Demonstrant_innen in Graz im Jänner 2016, die Aktion am Parteisitz der Grazer Grünen, ihre Drohungen gegen politische Gegner_innen und schließlich die Stürmung einer Theateraufführung von Geflüchteten im Audimax in Wien – mit all dem qualifizieren sich die Fans der spartanischen Militärdiktatur als eine Sammeltruppe von militanten Rassist_innen, die die Schmutzarbeit für die rechtsextreme Szene übernimmt.
Neofaschistische Einheitsfront am Dach der Grünen
Als „Identitäre“ am 6.4. 2016 am Haus der Grünen Partei rechtsextreme Parolen schrien und Farbe verschütteten, war das nicht nur der Ausdruck eines aggressiven, verschwörungstheoretischen Rassismus, sondern auch des immer offener demonstrierten Schulterschlusses von Neonazis und legalen Rechtsextremen.
Die Teilnehmer_innen der Aktion repräsentierten das gesamte rechtsextreme Spektrum von Neonazis, FPÖ und gewaltbereiten Rassist_innen, die ohne jede Berührungsscheu miteinander aufmarschierten: Zu den „Identitären“, die sich entweder am Hausdach (Foto 1-5) oder sich vor dem Haus mit Rauchfackeln und Fahnen betätigten, gehörten:
- Mario Singer (Graz)
- Peter Dingsleder (Graz)
- Lukas Zechner (Graz)
- Martin Sellner (Wien)
- Luca Kerbl (Graz)
- Patrick Lenart (Graz)
- Julian Utz (Wien)
- Richard Schermann (Wien)
- Manuel Papst (Köflach/Stmk.)
- Sabine Pabst (Voitsberg/Stmk.)
- Harald Peter Wiedner (St. Ruprecht a.d.Raab/Stmk.)
- Philipp Fabian (Nähe Anger/Stmk.)
- Emil Matthias Wunder (Graz)
- Oliver Grassmugg (Knittelfeld/Stmk.)
Sellner nahm in der Gruppe von Gottfried Küssel und der Betreiber der Nazi-Webseite alpen-donau.info an den Aktionen der Neonazi-Szene teil, ehe er sich rechtszeitig der behördlichen Verfolgung dieser Szene entzog und zum „identitären“ Ritter fürs Abendland wurde. Migration und Flucht sind für ihn ein Grund, an Bewaffnung zu denken: „Gottdeidank hab ich schon ne Waffe gekauft bevor der Asylwahn begonnen hat. Dürfte schwer sein jetzt noch was gutes zu bekommen“, postete er im Jänner 2016 auf Twitter.
Mario Singer wird auf der Homepage des “Rings Freiheitlicher Studenten” (RFS) als Vorstandsmitglied in Graz angegeben. Kerbl war in Fohnsdorf/Stmk für die FPÖ als Gemeinderat tätig und sorgte dort 2011 für einen Skandal, nachdem er auf seiner Facebook-Seite Nazisprüche und Links zu Neonazi-Songs geduldet hatte und in einem Interview erklärte: „Ich weiß nicht, wie ein Jude fühlt, das weiß ich wirklich nicht.“1 Nach seinem Umzug nach Graz blieb er der FPÖ treu und zwar 2016 als Bezirksobmann im Bezirk Lend. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kerbl, der sich 2015 im Ballkomitee des Grazer Akademikerballs engagierte, schon bewiesen, dass er als „Identitärer“ die Zusammenarbeit mit Neonazis sucht: So nahm er am 31.10.2015 an der Demonstration der neonazistischen „Partei des Volkes“ (PDV) in Spielfeld teil und war dort sogar kurzfristig als Ordner, später dann als Redner aktiv. Am selben Tag attackierte der lokale Gastronom mit nazistischer Gesinnung, Werner Legat, ohne jeden Anlass eine vorbeiziehende antirassistische Demonstration mit Pfefferspray. Mit dabei: Luca Kerbl. Legat fiel nicht nur durch wüst rassistische Aussagen auf, sondern trug ganz offen NS-Symbole auf seiner Kleidung und publizierte davon Fotos, außerdem Aufnahmen, die ihn beim sog. Kühnen-Gruß zeigen. Zudem bedrohte er Geflüchtete mit einer Schrotflinte und erklärte in einem Interview im Beisein des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Josef A. Riemer, seine Bereitschaft „abzudrücken“. 2
Auch der „Identitäre“ Peter Dingsleder, der bereits in Spielfeld am 15.11.2015 einen Journalisten attackierte, ist auf einem Foto in Legats Lokal zu sehen, zusammen mit Patrick Lenart und den FPÖ-Politikern Strache und Kunasek.3 Lenart kooperierte ebenfalls mit Neonazis: Bei der Demonstration der PDV am 31.10.2016 in Spielfeld trat er als Redner auf.4
Der Grazer Emil Matthias Wunder, der unter den „Identitären“ vor der grünen Parteizentrale anzutreffen war, wurde noch im Dezember 2015 bei einer Pressekonferenz der PDV als “Parteisprecher” vorgestellt.
Richard Schermann wiederum, ein Wiener Aktivist, gehörte jener Gruppe von „Identitären“ an, die nach der rassistischen Kundgebung vor der Kirchnerkaserne in Graz am 17.1.2016 eine Gruppe von Antifaschist_innen u.a. mit einem Totschläger angriff. Die antifaschistischen Demonstrant_innen waren gerade am Heimweg, als die “Identitären” mit dem Ruf „Génération identitaire“ auf sie losstürmten und zuschlugen. Zwei Frauen wurden dabei verletzt, die Angreifer rannten zwar davon, als die Polizei kam, wurden aber festgenommen. Unter den Angezeigten befinden sich mit Fabian Rusnjak und Philipp Huemer zwei führende Kader der „Identitären“, wobei Rusnjak zum Zeitpunkt des Überfalls den Verein als Kassier sogar offiziell nach außen vertrat. Schermann war nachweislich bei der schlägernden Truppe dabei.5
Sympathie für Gewalt hat auch ein weiterer Teilnehmer an der „identitären“ Aktion bereits bekundet, nämlich Manuel Papst aus Köflach/Stmk. Papst war 2015 und 2016 Aktivist der neonazistischen PDV und war für sie bei den Kundgebungen am 31.10.2015, am 21.11.2015 und am 31.1.2016 als Ordner tätig. Zusammen mit seiner Partnerin Sabine Pabst, die ebenfalls an der Aktion beim grünen Haus teilnahm, organisierte er einen Bus zur PDV-Kundgebung nach Wien am 21.11.2016. Als der FPÖler und PDV-Unterstützer Uwe Wölk via Facebook am 4.2.2016 dem Unbekannten dankte, der in Unterpremstätten absichtlich Asylwerber angefahren, verletzt und danach Fahrerflucht begangen hatte, markierte Papst dieses abscheuliche Posting mit einem „Gefällt mir“. Sabine Pabst bildet gemeinsam mit dem PDV-Ehepaar Wolfgang und Gabriele Pestl den Vorstand im Verein „Bürger für Bürger in Österreich“ – jenem Verein, der gemeinsam mit der PDV Stammtische organisiert.
Vereint hat die „identitären“ Möchtegern-Held_innen ein absurdes rassistisches Konstrukt: die Terroranschläge von Paris und Brüssel, die tatsächlich nicht von Refugees, sondern von fanatisierten belgischen und französischen Staatsbürgern begangen worden waren, allen Muslim_innen und speziell den jetzt Flüchtenden anzulasten und damit die Befürworter_innen einer menschlichen Asylpolitik als Mörder_innen hinzustellen. Die Grünen seien schuld am Terror, brüllte Sellner – bekannt faktenresistent – am 6.4. durch das Megaphon: „ An den Händen der Grünen klebt das Blut von Brüssel!“
Als „Generation Brevik“ bezeichnete daher das DÖW die „identitären“ Aktivist_innen, da sich ihre Behauptung, die wahren Schuldigen am islamistischen Terrors seien die Regierenden und ihr Multikulturalismus, fast wortident in Breiviks Manifest finde. Der Pathos der „Identitären”, ihre Selbstdarstellung als letzte Generation, die den Untergang aufhalten könne, sei geeignet, um Leute zum Losschlagen zu motivieren.
Wir schlägern und sind stolz darauf
Mit dem Überfall auf die Theateraufführung in Wien am 14.4.2016, bei der mehrere Menschen verletzt wurden, richteten die „Identitären“ ihre Aktivitäten nicht nur verbal, sondern auch handgreiflich gegen Geflüchtete einschließlich gegen Kinder, die sich im Moment der Stürmung auf der Bühne befunden hatten. Auf den Flugblättern, die sie ins Publikum warfen, denunzierten sie Asylwerber_innen pauschal als Vergewaltiger und Terroristen (und besaßen übrigens noch die Unverfrorenheit im selben Atemzug zu behaupten, dass ihr Auftritt sich nicht gegen Geflüchete richte). Auf Twitter kommentierte Armin Wolf das Geschreibsel der „Identitären“ mit den Worten: „Wer noch bezweifelt hat, dass das eine Neonazi-Truppe ist – Hier das öffentliche Geständnis.“
Zu Recht: Auch wenn der Text sich in seiner verschwörungstheoretischen Paranoia, seiner Realitätsferne und dem lächerlichen Pathos zunächst einmal vor allem wirr anhört, enthält er doch die für die neonazistische Szene und den historischen Faschismus charakteristische Propaganda gegen eine angebliche Dekadenz, die für den unmittelbar drohenden Untergang des Volkes verantwortlich sei, und die Selbstdarstellung als die „gesunde“ Jugend, die antritt, um dieses Schicksal abzuwenden. Unterlegt war das Flugblatt mit Drohungen gegen die als „Heimathasser“ und „Multikultis“ titulierte politische Opposition.
Die Namen der am Saalsturm Beteiligten lassen keinen Zweifel aufkommen, auf welche Weise die „Identitären“ mit einer solchen Opposition umzugehen gedenken: Neben Martin Sellner, dem Emporkömmling aus dem Kreis Gottfried Küssels, nahmen mehrere Mitglieder der Schlägertruppe vom 17.1.2016 in Graz an der Aktion teil – Philipp Huemer, Dominic Hacker, Richard Schermann -, zudem Uwe Aulibauer aus Leibnitz /Stmk, der am 31.10.2015 als Ordner der neonazistischen PDV versucht hatte, ein Kamerateam des ORF bei seiner Arbeit zu behindern.6 Eine Dokumentation aller am Saalsturm im Audimax Beteiligten findet sich am Blog der Recherche Wien .
Die Zeit, in der sich die „Identitären“ noch bemühten, ein intellektuelles Image und eine Distanz vom Neonazismus vorzutäuschen, gehört spätestens seit 2015 der Vergangenheit an. Glaubwürdig war ihre Performance als neurechts ohnehin nie, wenn mensch die Herkunft führender Aktivist_innen aus der neonazistischen Szene, betrachtet oder die Inhalte hinter den akademischem Floskeln als das entlarvte, was sie waren: dumpfe rassistische Stammtisch-Parolen, eingebettet in ein rechtsextremes Weltbild und eine aggressive Mobilmachung.
Doch je mehr die „Identitären“ ihrem eigenen Geschwafel glauben und sich am Vorabend des Untergangs bzw. Sieges wähnen, umso mehr verlieren ihre taktischen Verschleierungsversuche an Bedeutung. Freilich: Ihre Propaganda läuft nach wie vor, wenn sie sich nach jedem Angriff mit unverschämten Lügen und manipulierten Fotos als Opfer präsentieren und versuchen, ihre Selbstetikettierung als hippe neurechte Jugendbewegung weiterhin zu verkaufen.
Doch zugleich haben sie immer weniger Hemmungen zu signalisieren, dass sie zur Gewalt ihrer Aktionen stehen: Die Schläger vom 17.1.2016 sind nach wie vor in erster Reihe aktiv. Nach dem Übergriff auf das Sub in Graz, bei dem „Identitäre“ im Vereinslokal ihnen nicht genehme Plakate heruntergerissen hatten, brüsteten sie sich im Internet mit ihrer Tat: Sellner und Huemer posierten demonstrativ mit Mundschutz, wie er im Kampfsport getragen wird. Mit Schlagstock-Training bereitet sich Sellner auf kommende Aktionen vor, und ganz allgemein wird die eigene Gewaltbereitschaft zum „wehrhaften Ibster-Lifestyle“ verklärt.
Auch nach der Aktion im Audimax, als klar war, dass sie Geflüchtete verletzt hatten, behaupteten die “Identitären” trotzig, dass sie sich für nichts zu entschuldigen hätten und nun ihre Taten feiern würden. Immer offener geben die selbsternannten Abendlandverteidiger_innen zu verstehen, wie sie mit Kritik im Fall einer rechtsextremen Machtübernahme umgehen würden: Als der Smoothie-Hersteller Innocent auf Facebook ein Sujet gepostet hatte, das sich gegen Norbert Hofer richtete, drohte Sellner auf Facebook: „Die Lage in Österreich ändert sich und wir vergessen nichts.”
Gewalttätige Idiotäre – immer zu Diensten
Die FPÖ will es sich jedenfalls mit den „Identitären“ nicht verscherzen: Als Kerbl nach der Aktion beim grünen Haus von der FPÖ ein befristetes Funktionsverbot erhielt, geschah das konsequenterweise lediglich aufgrund seiner Herumhopserei auf dem Dach, wie Mario Eustacchio versicherte, aber nicht wegen seiner sonstigen Aktivitäten.
Nach der Stürmung des Audimax erklärte die FPÖ zwar, dass sie mit den „Identitären“ nichts zu tun habe (ungeachtet aller dokumentierten Kooperationen und personellen Überschneidungen), aber bezeichnete sie affirmativ als „aktionistische Bürgerrechtsbewegung“. Drohungen, Prügelattacken, Übergriffe gegen Kulturveranstaltungen und alternative Projekte – auch die FPÖ hat mittlerweile offenbar sehr konkrete Vorstellungen davon, welche Aktivitäten als Vorbereitung für einen Sieg bei den Wahlen hilfreich sein könnten, und im Falle eines Sieges erst recht…
Denn auch die Strache-FPÖ sieht sich ihrem Ziel einer Machtübernahme bei den nächsten Wahlen so nah wie noch nie. Und in diesem Projekt sind alle willkommen: die legalen Rechtsextremen und die Neonazis, die rassistischen Brandstifter_innen und die Schläger.
Es bedarf keiner besonderen Fähigkeiten, weder intellektueller noch sonstiger Art, um die Schmutzarbeit für die rechtsextreme Sache zu verrichten. Es braucht ideologischen Fanatismus und Skrupellosigkeit – und von beidem besitzen die „Identitären“ genug, um im geeigneten gesellschaftlichen Klima losschlagen zu können. Diese Dienstleistungen dürfen sie dann in ihrer unübertroffenen Peinlichkeit als „Eintreten für die Heimat“ bejubeln, das sie „hocherhobenen Hauptes dem Sonnenaufgang entgegengehen“ lässt.